Stoppt den Femizid

Ein Artikel von Michelle zum Frauentag

2020 wurden in Deutschland 139 Frauen und Mädchen ermordet, zumeist von ihren Partnern oder Ex-Partnern. Das bedeutet jeden dritten Tag. Diese Morde sind Femizide, da sie aufgrund des Geschlechts der Opfer geschehen. Sie machen einen Großteil aller Tötungsdelikte in Deutschland aus. Für 2021 stehen noch keine abschließenden Daten zur Verfügung, denn Femizide werden nicht in der Kriminalstatistik als solche erfasst. Diese Arbeit wird vom Femicide Observation Center Germany, federführend Prof. Dr. Kristina Wolff, geleistet. Denn trotz der Jahrtausende an Gewalt und Unterdrückung, die wir Frauen erleiden mussten und müssen, gilt der Mord aufgrund des weiblichen Geschlechts nicht als Hassverbrechen. Stattdessen werden Femizide als Beziehungsdramen, Familientragödien, Lustverbrechen oder Eifersuchtsdelikte stilisiert und damit auch gerechtfertigt. Misogynie und Sexismus werden herausredigiert und ignoriert, nicht nur beim Thema Femizid, doch hierbei wird es besonders offensichtlich.

Sexismus wird als überwunden, Feminismus als abgeschlossen, Frauenhass als vergangen imaginiert und behandelt. Wenn sie thematisiert werden, dann als Problem der anderen, aber doch nicht bei "uns"! 
Dabei sind es in Wahrheit doch ganz besonders die, die uns am nächsten stehen, die uns Gewalt antun. Der Löwenteil der sexualisierten Gewalt geschieht in unserem direkten Umfeld, durch jene, die wir lieben und denen wir vertrauen können sollten. Doch auch im öffentlichen Raum wird uns durch Catcalling und Co. immer wieder verdeutlicht, dass wir uns niemals sicher fühlen dürfen und dieser Raum nicht gleichberechtigt der unsere ist. Überall auf der Welt sind wir Menschen zweiter Klasse, an der Gewalt, die wir erfahren, wird uns selbst die Schuld gegeben und die Täter kommen meist komplett unbestraft davon. Sie kommen schließlich ja auch aus einem patriarchalen System, das zumindest die Grundsteine für Sexismus und ihr Verhalten gelegt hat.
Diese sehen wir im alltäglichen Leben in sexistischen Witzen, beiläufigen objektivierenden Bemerkungen, Geschlechterstereotypen und auch in der finanziellen Abwertung von Frauen durch den Gender Pay Gap. Ebenso werden wir durch die ungleiche Verteilung der Care-Arbeit und der gleichzeitigen Herabwürdigung dieser ausgebeutet. Nirgends wo wir hingehen, sind wir je sicher vor Sexismus. Wir leben als Menschen zweiter Klasse.

Das darf so nicht weitergehen!

Wir fordern von der Gesellschaft und der Regierung, die Gewalt gegen uns anzuerkennen, als was sie ist. Erfasst Femizide als solche und als Hassverbrechen aus Misogynie. Auch die Strukturen der Frauenhäuser sind viel zu gering ausgelegt. Dass Frauen, die nicht beim Jobcenter gemeldet sind, ihren Aufenthalt dort selbst zahlen müssen, verbaut so vielen hilfebedürftigen Frauen ihre Chance der Flucht. Eine vollständige Umsetzung der Istanbul Konventionen ist lange überfällig. Die Polizei braucht eine grundsätzliche neue Strukturierung und Schulung, um mit sexualisierter Gewalt umgehen zu können, damit nie wieder eine Frau weggeschickt wird, weil sie es ja provoziert hätte. Abtreibung muss zugänglich werden. Damit ist nicht nur die Streichung des Paragrafs 219a und eine Erneuerung des Paragrafs 218 gemeint, sondern Abtreibung muss zudem Kassenleistung werden, denn körperliche Selbstbestimmung darf kein Privileg für Besserverdienende sein. Wir fordern eine flächendeckende Aufklärung über Sexismus und Gewalt gegen Frauen, die spätestens in der Schule beginnen muss, sowie einen reflektierten Umgang mit systemimmanentem sexistischen Strukturen, um diese aufzubrechen. Gegen das Patriarchat!

Klatschen alleine reicht nicht.

Pflegekräfte brauchen echte Verbesserungen!

Wer erinnert sich nicht an die bewegenden Bilder aus der Anfangszeit der Pandemie? Überall in Deutschland gehen Menschen demonstrativ auf ihre Balkone, um den Pflegekräften für ihren mutigen Einsatz gegen das Corona-Virus zu danken. Und so sprechen auch Politiker*innen von den „Corona-Helden“, die jetzt nicht genug Wertschätzung erfahren könnten.

Kaum beginnen kurze Zeit später die Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst, wissen dieselben Herrschaften plötzlich nicht mehr, dass Wertschätzung nicht nur eine Phrase, sondern auch konkrete materielle Verbesserungen für Pflegekräfte bedeutet. Die Arbeitgeber fordern eine Nullrunde. Trotz steigender Preise sollen sich die Beschäftigten mit Gehaltskürzungen zufriedengeben. Ein Schlag ins Gesicht für alle Pflegekräfte!

Pflegenotstand herrscht nicht erst seit gestern

Dabei sprechen wir als Gewerkschaft nicht erst seit der Pandemie von einem dramatischen Pflegenotstand. ver.di geht davon aus, dass bereits heute 162.000 Stellen in Krankenhäusern fehlen, darunter mindestens 70.000 in der Pflege. Die Konsequenz: Immer mehr Kolleg*innen werden krank und kehren dem Pflegeberuf frustriert den Rücken. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, wird der in den nächsten Jahrzehnten wegen der demographischen Entwicklung steigende Pflegebedarf nicht gedeckt werden können. Eine Belastung nicht nur für die Beschäftigten, sondern eine Gefahr für die ganze Gesellschaft!
Aber das Problem ist hausgemacht: Die neoliberale Politik der letzten Jahrzehnte hat auf Marktmechanismen und privates Kapital statt auf eine bedarfsgerechte Finanzierung des Gesundheitssystems gesetzt. In vielen Bereichen der Pflege dominieren kirchliche und private Träger, die häufig einen Tariflohn und betriebliche Mitbestimmung verweigern.
So verhinderte zuletzt die Caritas einen dringend benötigten flächendeckenden Tarifvertrag in der Altenpflege.

Vom Pflegenotstand zum Pflegeaufstand

Für ver.di ist klar: Statt eines Pflegenotstands brauchen wir endlich einen Pflegeaufstand! Wir brauchen gute Arbeitsbedingungen und eine gemeinwohlorientierte Finanzierung der Pflege. Wir brauchen eine Stärkung der Tarifbindung, mehr Personal und deutlich steigende Gehälter.
All das wird aber nicht vom Himmel fallen, sondern braucht mutige Kolleg*innen, die sich gemeinsam für ihre Interessen einsetzen. Für sechs Uni-Kliniken in Nordrhein-Westfalen fordern die Beschäftigten mit Unterstützung ihrer Gewerkschaft jetzt einen „Tarifvertrag Entlastung“ noch vor der Landtagswahl. Das ist aber erst der Anfang einer großen Pflegebewegung. Denn ver.di will diesen Kampf für eine gerechte Pflege anschließend in die Breite tragen.

Mizgin Ciftci, Gewerkschaftssekretär mit dem Schwerpunkt Krankenhäuser für die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di.